Wieder Weihnachten. Klar – Hochkonjunktur für den Weihnachtsmann. An den glaubst du nicht, dann lies die Geschichte.
Wie jedes Jahr sammelte der Weihnachtsmann im Sommer seine Bestellungen, korrigierte Adressen und führte Gespräche mit unzähligen Lieferanten. Alltag eben. Er setzte seinen Schlitten instand, reparierte und tauschte Teile aus, auch eben das Übliche wie jedes Jahr. Das Wichtigste allerdings kam zum Schluss. Der Gesundheitscheck seiner sechs Rentiere , die Kontrolle ihres Zaumzeugs und – zuallerletzt, die Überprüfung seines IRTAS.
Der Weihnachtsmann war bester Laune. Die Rentiere hatten sich gut erholt, waren bestens genährt und sprangen bereits aufgeregt im Gehege umher, als General Winter seine Vorboten schickte. Dank meiner Fürsorge und Pflege, der erste Gedanke des Weihnachtsmanns, er blinzelte dabei Karl zu, dessen aufgeregter Atem die kalte Luft durchschnitt und besänftigte ihn mit erhobenem Zeigefinger. Wie jedes Jahr vor Beginn der Saison war Karl, sein Leitrentier, sein erster Ansprechpartner.
„Leute, es dauert nicht mehr lange, gönnt euch noch ein wenig Ruhe vor dem Sturm, ganz besonders du, mein lieber Karl. Unser Weihnachtsstress kommt früh genug“. Als Zeichen seines Wohlwollens senkte Karl dem Weihnachtsmann die Geweihschaufeln entgegen und hörte auf zu schnauben. Er verstand sehr wohl, worum es ging, um seine Verantwortung als Leittier. Seine fünf Mitstreiter, Fritz, Walter, Heinrich der Ältere, Heinz der Jüngere folgten seinen Anweisungen. Die Namenszusätze „der Ältere und der Jüngere“, hatte der Weihnachtsmann den beiden gegeben, um sie besser auseinander halten zu können, sie waren Brüder mit nur einem Jahr Altersunterschied. Egon, das Schlusslicht lief hinten links, der Stillste im Bunde, und der sah, egal welche, auf ihn zukommende Ereignisse, stets gelassen.
Nun stand die Funktionsprüfung des IRTAS an, sehr wichtig, damit es baldigst „ready for take off“ heißen konnte. Das IRTAS-System hatte der Weihnachtsmann vor langer Zeit eigenhändig entwickelt. Schließlich wäre er nach Selbsteinschätzung immer schon ein Tüftler vor dem „Herrn“ gewesen, gestand er sich ein und entschloss sich selbstbewusst, nach einem geeigneten Selbststudium, sein eigenes vollautomatisches Ionen Regeneration Turbo Antrieb System zu bauen. Dieses war seiner Meinung auch erforderlich, falls er mal ungewollt mit seinen Rentieren, Schlitten und all den Geschenken notgedrungen durch die Lüfte segeln müsse, um entweder ohne Umschweife schnellstens zum Zielort zu gelangen oder, wenn in bestimmten Regionen kein Schnee lag und damit die Kufen unnütz gewesen wären oder, wenn etwas völlig Unvorhergesehenes passieren würde, was niemand vorhersehen könne und so weiter und so weiter. Also, sein IRTAS sollte immer dann zum Einsatz kommen, wenn Fliegen die einzige Option bliebe. Nach Fertigstellung interessierte sich die Industrie für die Konstruktion. Ihre CEO´S (Chief Executive Officer – Geschäftsführer) löcherten den Weihnachtsmann vor Jahrzehnten regelrecht mit Ihren Fragen. Aber ihn ließ das kalt, das viele Geld, was er hätte verdienen können, war nicht sein Ding. Er war mit seinem Job mehr als zufrieden, der von Anfang an seine Lebensaufgabe war. Das bedeutete für ihn im Einklang mit der Natur zu leben, seinem Schöpfer zu danken und mit dem, was er besaß, glücklich zu sein. So sollte es bleiben und so blieb es. Er hatte sein Auskommen und außerdem, wäre die Menschheit sowieso noch nicht reif für diese neuartige Technologie. Dabei beließ er es. Die Anfragen nahmen mit der Zeit ab und wurden durch allen möglichen Pseudo-Technik-Blödsinn im Netz abgelöst, dem die Menschen offensichtlich mehr Glauben zu schenken bereit waren als den längst bewiesenen physikalischen Gesetzmäßigkeiten. Das war dem Weihnachtsmann zwar nie völlig egal, aber was sollte er tun, er konnte das unreflektierte Nachplappern diverser Theorien nicht ändern, die den Menschen oft genug vorgaukelten, das Rad neu zu erfinden. „So etwas brauche ich nicht, ich fahre auf Kufen“, stellte er manchmal als Antwort ins Netz.
Aber für derartige Gedanken war jetzt keine Zeit mehr. Die letzten Vorbereitungen liefen und alle Systeme mussten nochmals geprüft werden. Alles „roger“, raunte der Weihnachtsmann Karl zu, „morgen starten wir“.
In der Früh um Punkt 8.15 Uhr sollte es losgehen. Die Startzeit war seit Ewigkeit mit der Präzision eines Uhrwerks festgelegt. Der Weihnachtsmann versorgte seine Rentiere mit einem kräftigen Frühstück, Möhren, Nüsse, Äpfel und Rosinen, zusätzlich etwas Grünzeug. Anschließend spannte er sie vor den Schlitten, die auszuliefernden Geschenke waren bereits am Vortag verstaut worden, noch ein kurzer, letzter Blick auf die Adressliste, eine Tasse Kaffee und ein Brötchen mit Lappenkäse im Stehen für ihn, und ab die Post. Für diese Prozedur benötigte der Weihnachtsmann genau eine Stunde und zwanzig Minuten.
„Das war und das ist so, seit ich denken kann, es wird sich nicht ändern“, wovon er felsenfest überzeugt ist und ergänzt, wenn jemand nachfragt, „also seit meiner Kindheit kenne ich das nicht anders und die liegt fast ebenso lange zurück, wie mein erster Arbeitstag. Seitdem steht er, bevor die Weihnachtsreise beginnt, immer um fünf Minuten vor Sieben auf. Daher die 8.15 Uhr“.
Die ersten drei Stunden fuhr das Gespann durch den tiefen Schnee des Nordens, fast oben am Polarkreis. In der Nähe besaß der Weihnachtsmann ein größeres Stück Land, überwiegend für seine Tiere und ein Haus mit Garten für sich. Alles an einem See gelegen, der sich um diese Jahreszeit unter einem dicken Eispanzer verbarg, aber im Sommer jede Menge Freizeitspaß bot.
„Hier lässt es sich doch vortrefflich leben“, gestand er sich ein, auch um seinen längeren Müßiggang vor der Saison zu begründen, „hier geht es uns allen gut“, sprach er darauf hin Karl an, bevor er sein endgültiges „go“ gab. Karl und die anderen senkten wie jedes Jahr verständnisvoll ihre Geweihe, taten so, als wieherten sie ein wenig und rannten los.
Zwei Stunden Fahrt lagen bereits hinter und noch gut eine Stunde vor ihnen, dann wären sie bei der ersten Lieferadresse angekommen. Natalie, hieß die Glückliche auf der Liste und sie sollte ein neues Handy bekommen, auch das stand auf dem Zettel, so wie bei Tausenden anderer Kids. Der Weihnachtsmann überlegte, denn für ihn waren diese Art Geschenke sogar mit einem gewissen Vorteil verbunden. Wäre es noch wie früher, dann hätte er heute vielleicht einen krummen Rücken vom vielen Schleppen. Damals bestanden die Wünsche der meisten Jungen noch aus Stabil-Baukästen und viele Mädchen fieberten kleinen Blech-Elektroherden entgegen. Diese Dinge waren sperrig und vor allem schwer. Jetzt in seinem Alter, war dies „rein technologisch bedingt“, worauf er lachte, als er das aussprach, erheblich einfacher geworden. „So ein Handy wog fast nix“, was auch Karl abnickte und nachschob, „Weihnachtsmann bedenke, auch 1.000 wiegen nicht so viel, wie 20 Stabil-Baukästen und 5 Kinderherde“.
Ein Philosoph dieser Karl dachte der Weihnachtsmann und wurde jäh unterbrochen. Er schnellte hoch und erschrak. Ein Knall, ein Gewackel hin und her, danach noch dreimaliges Ruckeln durch den Schlitten und dann Stille. Alls stand. Nichts bewegte sich. Nur Karl drehte in seiner „weiß auch nicht Haltung“ seinen Kopf von rechts nach links und wieder zurück. Das half also nicht bei der Lösung des Problems.
Der Weihnachtsmann traute kaum seinen Augen. Denn was er sah, als er vom Schlitten stieg, war ein Malheur, ein Desaster, „Pardon“, fast die Hölle. Der Weihnachtsmann fluchte laut. Die rechte Kufe wurde durch einen Stein der Länge nach aufgeschlitzt und zerbarst augenscheinlich mit lautem Getöse in ihre Einzelteile. Die lagen nun vor seinen Füßen. Ein trauriges Bild. Gott sei Dank war der Schlitten nicht umgekippt und heil geblieben. „Glück im Unglück“, zwinkerte er Karl zu, der verständnisvoll mit den Hufen scharrte.
„So sind sie nun einmal, meine Rentiere“, murmelte er still vor sich hin „schaltete“ aber geistesgegenwärtig das GPS seines Schlittens auf den aktuellen Standort. Kommunikationsmittel und jedwede, damit verbundene Technik, hatte er sich auf dem Schlitten schon vor lagen Zeit installiert und zuverlässig auf dem neuesten Stand gehalten. So sind heute die Zeiten, spukte es in seinem Kopf und ob das alles gut oder schlecht für die Menschen ist, mochte er nicht beurteilen. Jetzt musste eine Lösung für sein Problem her. Er erhielt nicht sofort ein GPS-Signal, fluchte diesmal allerdings leise, da er sich Hilfe von ganz oben erhoffte, halt so wie es sich für einen Weihnachtsmann geziemt, das erschien ihm naheliegender, nahm sein Satellitentelefon zur Hand und drückte F2. Die Zeit drängte, im Dunkeln fuhr er nicht gern und fliegen käme nur im aller schlimmsten Fall in Frage, also wartete er auf eine Verbindung. Die funktionierte komischerweise nach fünf Sekunden. Er gab seine Standortdaten an die Leitstelle in Trondheim durch und die versprachen, in zwei Stunden einen Hubschrauber mit einer neuen Kufe vorbeizuschicken.
„No Problem“, danke“, sagte der Weihnachtsmann dem „Officer“ zum Abschied, „ich warte und lege auf“. Klappte es nicht rechtzeitig, besaß er für den Fall der Fälle ja sein IRTAS. Der Hubschrauber landete, die Piloten halfen bei der Montage
und weiter ging es. Die an diesem Tag auszuliefernden Geschenke kamen nur mit einer kleinen Verspätung bei den Empfängern an.